Der Familienbetrieb

08.05.2024 – „Kann das alles raus, oder soll das mit?“ hörte ich einen Mitarbeiter von Sack & Pack, eine örtliche Entrümpelungsfirma, die ihre Errungenschaften auf Flohmärkten anbot, seine beiden Kollegen fragen. Mein Blick fiel auf zwei schäbige Sitzbänke, die unter alten verstaubten Akten, im ehemaligen Büro meines Großvaters standen. Als ob mich jemand mit Eiswasser übergossen hätte, durchfuhren mich plötzlich einige Kindheitserinnerungen. Mein Großvater erklärte mir damals, dass ich auf diese Bänke immer besonders gut aufpassen solle. Er lieferte mir regelmäßig Begründungen für seine Mahnung, an die ich mich aber nur schlecht erinnere. „Die wahren Werte würden sich im Inneren befinden, wie bei den Menschen“, war eines dieser Zitate.
Ich stand in der fast leeren Halle des Tischlereibetriebes, den ich in der sechsten Generation fortführen sollte. In den Büroräumen, die seit Jahren teilweise verwaist sind, stehen Zeichentische, an denen schon seit geraumer Zeit niemand mehr gearbeitet hat. Unter Bergen alter Akten und ausgedienten Musterwerkstücken aus besseren Zeiten, stehen sie. Zwei „Familientruhen“, so wurden die zerschlissenen Bänke von meinem Großvater genannt, waren die Gesellenstücke meines Urgroßvaters und meines Großvaters.
Vor über hundert Jahren führten meine Urgroßeltern eine Familien-Tischlerei bereits in dritter Generation. Die Geschäfte nach dem ersten großen Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts liefen, der Umsatz entwickelte sich zur Zufriedenheit. Die Arbeiter und Angestellten freuten sich über Ihren sicheren Arbeitsplatz. Mein Urgroßvater stellte die Weichen und spezialisierte die Universal-Tischlerei zu einer modernen und bekannten Möbeltischlerei. Die individuelle Fertigung von Klein- aber auch Großmöbeln brachte meinen Urgroßeltern einen gewissen Wohlstand.
Durch die Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit war meinem Urgroßvater bewusst, dass er zur Absicherung der Familie im Alter und des Betriebes in schlechteren Zeiten, Rücklagen bilden muss.
Da sich mit dem gesteigerten Umsatz auch die Ertragssituation wesentlich verbesserte, stellte sich für ihn die entscheidende Frage: Geld oder Gold? Die große Währungsreform von 1923 hatte man gerade mehr schlecht als recht überstanden. Der Aufschwung der Wirtschaft schritt voran.
Gedankenversunken stammelte ich die Worte: „Alles könnt ihr mitnehmen, bis auf die beiden Erbstücke meiner Groß- und Urgroßväter“.
Nach dem zweiten Weltkrieg, jetzt wurde die Firma von meinem Großvater geführt. Möbel wurden mehr und mehr industriell gefertigt. Individuelle Stücke waren in der schnelllebigen Nach-kriegszeit nur noch selten gefragt. Als Ausweichlösung sollten die Produktion und der Einbau von Türen und Fenstern dienen. Anfangs explodierte die Auftragslage durch die große Nachfrage, wegen des Wiederaufbaus oder der Instandsetzung vieler zerstörter Häuser.
Als mein Vater den Betrieb übernahm, war bereits abzusehen, dass eine gewinnbringende Konzentration in diesem Segment nur in der industriellen Fertigung und der Einbau durch sogenannte Sub-Unternehmen erfolgen müsste.
So entwickelte sich unsere Tischlerei zurück in den Ursprungs-zustand. Im Laufe der Jahre schrumpfte der Betrieb, Mitarbeiter wurden bei Eintritt in den Ruhestand nicht ersetzt.
Als ich im letzten Jahr den Betrieb gezwungenermaßen übernahm (meine beiden jüngeren Brüder und meine Schwester fühlten sich nicht zuständig – und man hatte schließlich einen Beruf), geschah das nur noch zur Abwicklung und Auflösung. Auch ich hatte meine Familie und einen gutbezahlten Job in der Finanzindustrie als Investmentbanker, aber einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte ich hier, in der Tischlerei auf den Gesellenstücken meiner Vorfahren und lauschte deren Erzählungen. So hielt ich es für meine Pflicht, die beiden letzten Mitarbeiter in den Ruhestand zu verabschieden. Der Maschinenpark, überaltert, fand teilweise Platz in einem benachbarten Industriemuseum. Für die Übernahme des Grundstücks hatte sich längst ein stadtbekannter Immobilien-Investor angemeldet.
So stand ich da, mit meinen beiden Familientruhen, mit den inneren Werten. Mein intelligenter Urgroßvater hatte sich für Gold entschieden. Bei jeder Gelegenheit kaufte oder tauschte er Möbel und Geld gegen Gold. Als ich die doppelten Böden der Truhen öffnete, fand ich glücklicherweise keine Reichs- oder sonstige Banknoten, sondern sage und schreibe zehn Kilogramm feinste Goldbarren. Der heutige Wert (April 2024): über 700.000 Euro.
Danke, es hätten auch 860 Billionen (860.000.000.000.000) Mark in großen „S C H E I N E N“ sein können.

Danke Urgroßvater!

Diese Geschichte widme ich Kerstin, meiner besten Ehefrau aller Zeiten, die mir die Inspiration für diese Erklärung, des Unterschieds zwischen Geldwert und Sachwert, gab.
Danke Kerstin!

Hyperinflation und Große Depression
1871 führte das Deutsche Reich den Goldstandard ein mit einer Goldparität von einer Mark zu 0,3591 Gramm Feingold oder 86,58 Mark pro Feinunze (31,1035 Gramm). Die Goldeinlösepflicht endet am 4. August 1914. Die wachsenden Staatsdefizite wurden von nun an über die Notenpresse finanziert. Bis Januar 1920 hatte sich der Wert der Mark gegenüber dem goldgedeckten Dollar (20,67 Dollar pro Feinunze) gezehntelt, was einem Goldpreis von 860 Mark je Feinunze entsprach. Die Endphase dieser Entwicklung war geprägt von galoppierender Inflation. Im November 1923 entspricht eine Feinunze Gold (20,67 Dollar) 86 Billionen Mark, als Zahl ausgeschrieben: 86.000.000.000.000. Die Rentenmark löst die Mark ab im Verhältnis 1 zu 1000.

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